07.11.2024
14:20 - 15:05 Uhr

Vortrag
People & Teams

Dr. Oliver Kortendick
Bundesverwaltungsamt Köln

Simone Mester
Bundesverwaltungsamt

Situativer Wissenstransfer durch leichtgewichtige Testkonzepte

Das Bundesverwaltungsamt (BVA) mit Hauptsitz in Köln und weiteren Liegenschaften in mehr als 20 Städten betreut mit ca. 6.000 Mitarbeitenden über 150 IT-unterstützte Fachverfahren. Die Behörde wird dabei durch eine Vielzahl externer Dienstleister unterstützt.

In den Entwicklungsreferaten, die traditionell auf das V-Modell-XT des Bundes verpflichtet sind, wurde die erfolgreiche Einführung der Agilen Vorgehen in der Wirtschaft beobachtet und die agile Blaupause in unterschiedlichem Ausmaß für viele eigene Verfahren und neue Projekte übernommen.

„Agil sein“ bedeutet unserer Meinung nach die Betonung von Interaktion und Kommunikation aller Teammitglieder. Die gemeinsame Verpflichtung des Teams auf höchste Produktqualität innerhalb eines inkrementell-iterativen sprintgetakteten Rahmens bei wiederholter Miteinbeziehung des Auftraggebers und Endkunden stellt den Erfolg des Produktes / Projektes sicher. Umso schwieriger erscheint die Einführung agiler Prinzipien daher in dem oben skizzierten Kontext mit seinen ausgeprägten Hierarchien und seiner räumlichen und organisatorischen Zerklüftung.

Um die Agile Transformation zumindest einiger Teilbereiche unserer Organisation zu unterstützen, haben wir drei verschiedene Maßnahmen eingeführt:

  • Förderung von Vernetzung und Kommunikation mit Hilfe des Werkzeugkasten der Liberating Structures
  • Aufbau einer Community of Practice
  • Erstellung von leichtgewichtigen „agilen“ Testkonzepten in Form eines Test- und QS-Baukastens

Unsere Community of Practice (CoP), das „Forum für Test und Qualitätssicherung“ (ForTeQ), ist seit fünf Jahren in über 40 Veranstaltungen etabliert.  Hier tauschen Tester und Softwarequalitätssicherer pragmatisches Wissen zur Bewältigung ihrer alltäglichen Arbeitssituationen und Aufgabenstellungen aus. Im Mittelpunkt stehen Werkstattberichte aus aktuellen Verfahren und Projekten und Vorträge über allgemeine QS-Themen. Aber es gibt auch Übungen zur Anwendung von Mikrostrukturen aus dem Werkzeugkasten der Liberating Structures beispielsweise, die sich bei den Teilnehmern regelmäßig großer Beliebtheit erfreuen.

Strategisches Ziel unserer Test- und Qualitätssicherungsmaßnahmen ist die Sicherstellung von Softwarequalitätsmerkmalen nach der ISO 25010. Im QS-Kompetenzzentrum des BVA haben wir über geeignete, die Agile Transformation unterstützende Formen der Konzeptionalisierung des normativen Wissens nachgedacht, das als Ergänzung und keinesfalls als Ersatz des durch die CoP vermittelten pragmatischen Wissens verbreitet werden soll.

Das Ergebnis ist der modulare QS-Baukasten des BVA. Er besteht aus Bausteinen, die jeweils ein ausgesuchtes Thema behandeln. Ein Baustein beschafft Informationen, kontextualisiert diese und erklärt Begriffe (hier ist das ISTQB-Glossar führend). Informationen werden auf unterschiedlichen Ebenen angeboten, so dass jeweils individuell entschieden werden kann, wie hoch der eigene Bedarf ist, tiefer in die Materie einzudringen. Bausteine vermitteln Informationen in kleinen abgeschlossenen Lerneinheiten, die unabhängig voneinander, je nach aktuellem Bedarf, abgerufen werden können. In der Regel können solche Einheiten in weniger als zehn Minuten durchgearbeitet werden.

Außerdem entwickelten wir ein einfaches vierstufiges Reifegradmodell. Anwender können über ein Self-Assessment mit Hilfe eines zielgerichteten und geprüften Fragenkatalogs eine Positionsbestimmung im Hinblick auf die in ihrem Projekt oder Verfahren durchgeführten Test- und QS-Maßnahmen vornehmen. Im Anschluss an die Selbsteinschätzung auf einen der angebotenen Reifegrade werden Verbesserungsvorschläge zur Erreichung höherer Reifegrade gegeben. Diese Verbesserungsvorschläge sind streng praxisorientiert und werden durch geeignete Hilfsmittel (Vorlagen, Templates und Checklisten) unterstützt, die Inhalte haben einen direkten Bezug zu Vorgehen und Anwendungen im BVA.

Beispiele für in Release 2.0 umgesetzte Bausteine sind (Stand März 2024):

  • Anforderung und Anforderungsmanagement
  • Review-Arten
  • Testautomatisierung
  • Teststufen
  • Verfolgbarkeit (Traceability)
  • Barrierefreiheit/Zugänglichkeit
  • Reporting
  • (agile) Testarten
  • Testentwurfsverfahren

Referenzen:
2024: Dr. Oliver Kortendick und Simone Mester, Hermeneutische und situative Wissensvermittlung in der agilen Softwareentwicklung, in: Softwaretechnik-Trends, Gesellschaft für Informatik (Hrsg.), Band 44, Heft 1, pp. 2-8

Dr. Oliver Kortendick, Bundesverwaltungsamt Köln

Solide, vieljährige Programmier- und Projekterfahrung, Softwareentwicklungsmodelle (Wasserfall, V-Modell, RUP, Agile), bei Banken, Versicherungen, Medien, Öffentlicher Dienst. QS-Evangelist. ISTQB Certified Tester Full Advanced Level. Besondere Interessen sind quantitative und qualitative Erhebungsverfahren, Gruppendiskussionen und statistische Auswertungen. Durchführung von Schulungen und Trainings für unterschiedliche Gruppen von Anwendern.

Simone Mester, Bundesverwaltungsamt

Langjährige Erfahrung als Softwareentwicklerin im Banken- und Versicherungsumfeld. Unterschiedliche Vorgehensmodelle, in den letzten Jahren hauptsächlich Scrum (zertifizierte Scrum Masterin). ISTQB Zertifizierungen. Besonderes Interesse: Leichtgewichtige Prozesse um Teambildung und Gruppenkohärenz im agilen Vorgehen zu unterstützen. Co-Gründerin der Community of Practice "Forum für Test und Qualitätssicherung" im BVA, Co-Moderatorin der CoP "Test und QS" des Next-Netzwerkes des Bundes.